Panorama-Portraits
Der Wunsch, nah an den Objekten – nah an den Menschen – dran zu sein, ließ mich im Lauf der Jahre zu immer stärkeren Weitwinkelobjektiven greifen. Doch diese verursachen ab einer gewissen Brennweite eine optische Verzeichnung, die sich nicht mit meinen Bild-Vorstellungen deckte. Eine alte russische Panorama-Kamera, deren Objektiv sich während der Belichtung dreht, erzeugte einen solchen weiten Bildwinkel ohne die störenden Verzeichnungen. Denn durch eine spezifische Drehung des Objektivs reicht ein relativ gemäßigtes 28 mm Objektiv für den Kleinbildfilm als Weitwinkelobjektiv aus. Die Drehung selbst lässt sich so schnell einstellen, entsprechend etwa einer 1/250 Sekunde, dass man damit auch bewegte Objekte auf der Straße fotografieren kann.
Der Fokus, also der Schärfepunkt, war bei dieser Kamera auf Unendlich fixiert, da der Hersteller wohl davon ausging, dass man mit solch einer Kamera hauptsächlich Landschafts-Panoramen fotografieren möchte. Da ich aber diese Kamera genau für meine Street-Photography-Bilder einsetzen wollte, baute ich mit viel Ausprobieren und Mühe die Kamera soweit um, dass ich den Fokus nun auch auf den gewünschten Nahbereich von 50 cm einstellen konnte. Dh. alle Bilder, die man auf dieser Seite sehen kann, sind aus der extremen Nähe von 50 cm zwischen Objektiv und Person aufgenommen worden.
Kein das Bildergebnis auch nur annähernd wiedergebender Sucher, kein Belichtungsmesser – und schon gar kein Autofokus – ließen das Arbeiten mit der Kamera sehr mühsam und intensiv werden. Doch wenn sich ab und zu das fertige Bild-Ergebnis meiner ursprünglichen Idee – meiner vagen imaginären Vision des Bildes – annäherte, belohnte mich dieses mit einem großen Glücksgefühl, was Nähe und Intensität dieser Bilder betrifft.
Und manchmal entdeckte ich dann Wochen später in der analogen Dunkelkammer, beim Entwickeln des Films, Dinge auf dem Bild, welche ich in dem winzigen Moment der Begegnung überhaupt nicht wahrgenommen hatte: Dass auf dem Bild des wunderbaren älteren Mannes in Havanna mit den grauen Haaren und der großen Sonnenbrille links unten das Bild von Che mit der cubanischen Flagge auftaucht, – einen winzigen Moment später wäre dieses Bild von dem Mann selbst verdeckt worden. Das sind für mich Geschenke des Lebens. Geschenke dieser wunderbaren Bühne des Lebens
Aber das sind alles Geschichten aus einer anderen Zeit. Erst einmal, da sich die oben beschriebene Technik nur mit einem analogen Film realisieren lässt. Ein digitaler Sensor kann nun mal nicht in einem halbrunden Kreis um das Objektiv herum gebogen werden. Aber auch deswegen, weil sie aus einer Zeit stammen, in der man die Welt beobachten und entdecken wollte, einer Zeit, in der man mit der Fotografie Erkenntnisprozesse nicht nur über diese Welt sondern auch über sich selbst suchte. Einer Zeit, in der wir nicht misstrauisch davon ausgehen mussten, dass dieses Plakat mit dem Bild von Che Guevara doch sowieso nachträglich mit Photoshop hinein montiert wurde oder gar völlig dem Gestaltungswillen einer Künstlichen Intelligenz entstammt sein mag.
Panorama-Portraits
The desire to be close to the objects – close to the people – led me to use increasingly powerful wide-angle lenses over the years. But above a certain focal length these cause optical distortion, which did not correspond to my image ideas. An old Russian panoramic camera, whose lens rotates during exposure, produced such a wide angle of view without the annoying distortions. Because of this specific rotation of the lens, a relatively moderate 28 mm lens is sufficient as a wide-angle lens for 35mm film. The rotation itself can be adjusted so quickly, corresponding to around 1/250 of a second, that you can also use it to photograph moving objects on the street.
The focus, that means the point of focus, was fixed at infinity on this camera because the manufacturer probably assumed that you would primarily want to photograph landscape panoramas with such a camera. Since I wanted to use this camera precisely for my street photography images, I modified the camera with a lot of trial and error so that I could now set the focus to the desired close range of 50 cm. All images that can be seen on this page were taken from the extreme close of 50 cm between the lens and the person.
No viewfinder that even came close to reproducing the image result, no light meter – and certainly no autofocus – made working with the camera very laborious and intensive. But when every now and then the finished image result came closer to my original idea – my vague imaginary vision of the image – it rewarded me with a great feeling of happiness in terms of the closeness and intensity of these images.
And sometimes, weeks later, in the analogue darkroom, while developing the film, I discovered things in the picture that I had not noticed at all in the tiny moment of encounter: that in the picture of the wonderful older man in Havana with the gray hair and the large sunglasses the image of Che with the Cuban flag appears at the bottom left –a tiny moment later this image would have been covered by the man himself. For me these are gifts of life. Gifts of this wonderful stage of life.
But these are all stories from another time. First of all, because the technology described above can only be achieved with analog film. A digital sensor simply cannot be bent in a semicircle around the lens. But also because they come from a time in which people wanted to observe and discover the world, a time in which people used photography to seek knowledge not only about this world but also about themselves. A time in which we did not have to assume with suspicion that this poster with the picture of Che Guevara was added later using Photoshop anyway or may even have come entirely from the creative will of an artificial intelligence.