Cuba
Ich erinnere mich, wie ich direkt nach der Ankunft bei meiner ersten Reise diese Faszination, diesen Zauber spürte, der von diesem Land und seinen Menschen auf mich ausging. Ich war als junger Fotograf gerade bei der Fotografen-Kooperative Bilderberg akzeptiert und aufgenommen worden, als man mich fragte, ob ich bei einem Gemeinschaftsprojekt von 11 Bilderberg-Fotografen teilnehmen wolle.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem damit verbundenen Wegfall wichtiger Absatzmärkte wie auch dem Verlust der Unterstützung durch die osteuropäischen Staaten stürzte Cuba Anfang der 90er Jahre in eine tiefe Krise. Die dadurch ausgelöste vorsichtige Öffnung zur westlichen Welt und der zaghafte Ansatz liberaler Veränderungen im eigenen Land rückte Cuba Mitte der 90er Jahre in das Interesse der Weltöffentlichkeit. Bilderberg war als angesehene Fotografen-Gruppe von Cuba eingeladen worden, sich ein eigenes Bild von der Situation in Land zu machen.
Micha Ende, als Lateinamerika kundiger Kollege war als Voraus-Kundschafter schon einige Zeit in Havanna, um Themen und Geschichten asuzulooten. Er hatte einen alten Armee-Laster organisiert, um uns vom Flughafen abzuholen. Und so saßen wir dann mit 11 Fotografen nach einer 12 stündigen Flugreise auf der offenen Ladefläche eines großen Lasters und fuhren in der tropischen Abenddämmerung hinein in das Verkehrschaos Havannas. Eine fasinierende Athmosphäre umschlung uns, die flirrende Hitze der Straßen, der Lärm der pulsierenden karibischen Großstadt, Gerüche vom nahen Meer vermischt mit den Abgasen der alten Autos, während das tropische Zwielicht in mir atemberaubende Bilder aufsteigen ließ, sich mit Erinnerungen an Fellinis Roma oder auch Coppolas Apocalypse Now durchmischend. Die Faszination, die mich in diesem Moment erfasste, während wir immer tiefer hinein in den tropischen Moloch fuhren, ließ mich danach nicht mehr los.
Es herrschte diese ganz eigene Mischung aus karibischer Lebendigkeit und Lebensfreude gepaart mit einer oftmals tiefen Melancholie. Eine Ambivalenz, die das Land fest im Griff hatte und überall zu spüren war: Auf der einen Seite die große Begeisterung für die Revolution und ihre Errungenschaften, der Stolz auf Che Guevara und den Kampf der Revolutionäre gegen den Imperialismus. Auf der anderen Seite das allgegenwärtige Bewusstsein über das Fehlen von Rede- und Pressefreiheit, von freien demokratischen Wahlen sowie das Wissen über die vielen politischen Gefangenen, die in Cubas Gefängnissen sitzen. Und darüber hinaus lastete der tägliche Kampf ums Überleben auf den Seelen der Menschen. Viele versuchten in dieser Zeit mit kleinen Booten der Insel den Rücken zuzukehren und mit einer halsbrecherischen Überfahrt die US-Amerikanische Küste zu erreichen.
Für die nächsten Tagen, in denen ich noch in Havanna blieb, bevor ich danach durch das Land reiste, hatte man für mich eine Dolmetscherin gefunden. Eine deutsche Ärztin, die, aus der DDR stammend, sich dort in einen kubanischen Studenten verliebt hatte, und diesem noch in den 80er Jahren als Ehefrau nach Havanna gefolgt war. Für sie war jetzt der Zuverdienst in Form von amerikanischen Dollar, die ich ihr zahlen konnte, ein Vielfaches von dem Gehalt, das sie in einem der großen Krankenhäuser der Hauptstadt erhielt. Beim Übersiedeln aus der DDR hatten sie ihren Trabant nach Havanna verschiffen lassen. Plötzlich fuhr ich nun also im Jahr 1994 mit einer ostdeutschen Ärztin als Dolmetscherin in ihrem knatternden Trabbi durch die Straßen Havannas – zwischen all den großen alten amerikanischen Straßenkreuzern, die damals noch in Kuba zu finden waren. Und sie, die nach der deutschen Maueröffnung nicht mehr in ihrer Heimat war, fragte mich immer wieder mit großen ungläubigen Augen: »Ist es wirklich wahr? Kann man nun wirklich – einfach so – mit dem Auto von Ost- nach West-Berlin fahren?«
Cuba
I remember how, immediately after arriving on my first trip, I felt this fascination, this magic that emanated from this country and its people. As a young photographer, I had just been accepted into the Bilderberg Photographers' cooperative when I was asked if I wanted to take part in a joint project between 11 Bilderberg photographers. After the collapse of the Soviet Union and the associated loss of important sales markets as well as the loss of support from the Eastern European states, Cuba plunged into a deep crisis in the early 1990s. The resulting cautious opening to the Western world and the timid approach to liberal changes in their own country brought Cuba into the attention of the world public in the mid-1990s. As a respected group of photographers, Bilderberg was invited by Cuba to get their own picture of the situation in the country.
Micha Ende, as a colleague who is knowledgeable about Latin America, has been in Havana for some time as an advance scout to understand topics and stories. He had arranged for an old army truck to pick us up from the airport. And so, after a 12-hour flight, we as 11 photographers sat in the open back of a large truck and drove into the traffic chaos of Havana in the tropical dusk. A fascinating atmosphere surrounded us, the shimmering heat of the streets, the noise of the pulsating Caribbean city, smells from the nearby sea mixed with the exhaust fumes of the old cars, while the tropical twilight brought up breathtaking images in my mind, with memories of Fellini's Roma or even Mixing up Coppola's Apocalypse Now. The fascination that gripped me at that moment as we drove deeper and deeper into the tropical Moloch never left me. There was this very unique mix of Caribbean liveliness and joy of life paired with an often deep melancholy. An ambivalence that had the country firmly in its grip and could be felt everywhere: On the one hand, the great enthusiasm for the revolution and its achievements, the pride in Che Guevara and the revolutionaries' fight against imperialism. On the other hand, there is the omnipresent awareness of the lack of freedom of speech and freedom of the press, of free democratic elections and the knowledge of the many political prisoners who are in Cuba's prisons. And beyond that, the daily struggle for survival weighed on people's souls. During this time, many tried to turn their backs on the island in small boats and make a breakneck crossing to reach the US coast.
They found an interpreter for me for the next few days, during which I stayed in Havana before traveling through the country. A German doctor who, coming from the GDR, fell in love with a Cuban student there and followed him to Havana as his wife in the 1980s. For her, the additional income in the form of American dollars that I was able to pay her was now a multiple of the salary she received in one of the capital's large hospitals. When they moved from the GDR, they had their Trabant shipped to Havana. Suddenly, in 1994, I was driving through the streets of Havana in her rattling Trabbi with an East German doctor as interpreter– between all the big old American road cruisers that could still be found in Cuba at the time. And she, who had not been in her homeland since the German Wall was opened, kept asking me with wide, disbelieving eyes: »Is it really true? Can you really – just like that – drive from East to West Berlin?«