DER KUCKUCKS-CLAN
Buch-Veröffentlichung Hansel-Mieth-Preises 2001
Autor: Gerd Elendt, Fotograf: Stefan Enders, STERN 52/2000
Text-Auszug:
Die Kokerei faucht und spuckt. Fette Wolke bleiben in der Dieselstraße hängen. »Strichweise Regen« hat der Rundfunk angekündigt. Es stinkt nach nassem Koks an diesem Morgen in Duisburgs Norden. »Hier kann man das Ruhrgebiet noch schmecken!«, sagt Eduard Storm. Er parkt seinen mintgrünen Opel Corsa vor der türkischen Teestube. Früher verkaufte dort ein deutscher Metzger Schwein und Rind. Früher, das war, als auch kleine Leute im Ruhrgebiet noch richtiges Geld verdienten. Ede Storm holt seine schwarze Aktentische mit den gefürchteten Giftblättern aus dem Kofferraum: »Vollstreckungsauftrag« steht oben
auf den Formularen, und unten prangt der Adler der Bundesfinanzverwaltung.
Storm, 43,seit elf Jahren Vollziehungsbeamter beim Hauptzollamt Duisburg, ist unterwegs zu seiner Kundschaft. »Geld eintreiben für die leeren Kassen von Finanzminister Eichel«, nennt er das. Außer ihm sind an diesem Tag noch 1600 weitere Zöllner in Deutschland unterwegs, um Forderungen des Bundes. der Landesarbeitsämter. Krankenkassen oder Berufsgenossenschaften bei säumigen Schuldnern zu kassieren. Wer nicht zahlt, wird gepfändet. »Wir gehen auch für Beträge los, die keinen Gerichtsvollzieher mehr vor die Tür locken«, sagt Storm. Ab 50 Mark wird eingetrieben. In der Summe lohnt sich de, Einsatz offenbar: Auch in diesem Jahr werden die Vollstrecker bundesweit bei zwei Millionen Einsätzen fast 1,5 Milliarden Mark für den Fiskus lockermachen. Das Haus, auf das Storm zusteuert, hat bessere Zeiten gesehen. »früher wohnten hier noch hohe Herrn von Thyssen.« Jetzt ist es im Treppenhaus duster. Der Lichtschalter ist zerschlagen worden und versagt seinen Dienst. »Was die bloß mit den Briefkästen machen?«, fragt sich Storm. Überall sind Hartfaserplatten davor geschraubt. Hinter der zerkratzten Tür im vierten Stock ist Leben in der Bude. Vier Männer im Rippenunterhemd-Look haben sich schon am frühen Morgen zur »SchloPiHaLiDo-Fete« zusammengefunden. Die »Schloss Pils«-Halbliterdosen schäumen über. Karl, der Älteste in der frohen Runde, hat 400 Mark mehr Stütze bekommen. Dass der Vollstrecker ausgerechnet an diesem Tag von Wohnungsmieter Walter 800 Mark haben will, stört nur. Zu viel Arbeitslosenhilfe kassiert? »Laber nicht«, kräht einer aufgekratzt, »hol dir lieber auch 'ne Dose.« Storm bleibt entspannt: »Nee, danke, Jungs, meine Leberwerte sind so schlecht. Nix für ungut." Dafür haben die SchloPiHaliDo-Brüder Verständnis, und Storm tritt den geordneten Rückzug an. »lch komm nächste Woche noch mal.« Storm hasst es, frühmorgens in ungelüfteten Buden zu stehen und um elf Uhr Leute aus dem Bett zu werfen, die eine Fahne haben, dass es ihn umhaut. »Der ärgste Feind des Vollstreckers sind die Gerüche.« So hatte er sich den Dienst nicht vorgestellt, als er 1989 vom Zoll-Grenzdienst zur Vollstreckungsabteilung wechselte. Mittlerer Dienst. Besoldungsgruppe A8: Für 3500 Mark netto im Monat sieht Storm Deutschland von unten. Die Alternative wäre gewesen: Güterabfertigung an der holländischen Grenze. »Den ganzen Tag Lastwagenladungen überprüfen und Papiere abstempeln.« Ihm graust noch heute bei dem Gedanken. »Nee, das wäre nicht meine Welt. Ich wollte mit Menschen zu tun haben.«
Menschen wie Theo, der um die Ecke haust. Fünfter Stock, ausgebauter Speicher. Durch die Gaubenfenster sabbert der Ruß-Regen. Überm Kohleofen trocknen Unterhosen. Auf dem Tisch das zweite Frühstück: Schwip-Schwap Cola mit Revat. Theo ist der frühe Besuch peinlich: »Es ist schlimm mit meiner Ordnung«, nuschelt er.
Storm klemmt seinen Hintern auf die einzig freie Stelle des Sofas. Dann zückt er die Checkliste. »Feststellungen über die wirtschaftlichen Verhaältnisse des Vollstreckungsschuldners« steht behördendeutsch auf dem Formular. Alter? 38 Jahre, geschieden, zwei Kinder, 850 Mark Arbeitslosenhilfe, 415,73 Mark Miete, die Freundin zahlt zehn Mark Untermiete. »Ich bin ein armer Hund ohne Halsband«, sagt Theo. Der laue Scherz zündet in der klammen Bude nicht. »Besitz?« – »Nö.« Theo reiht ein Nö an das nächste.
Und jetzt eine Frage mit Ja: Schulden?« – »Ja. Jede Menge«, sagt Theo nickend.
Hansel Mieth Preis 2001 –
Gabriel Grüner Stipendium
Erschienen im Schwoerer Verlag