Albanien 2023 - 2024

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Die sogenannten Westbalkan-Länder hatte ich während meines Europaprojektes WEIT WEG VON BRÜSSEL nicht besucht, denn sie lagen nicht auf der Route meiner damaligen konzeptionellen Idee, die Außengrenzen der Europäischen Union entlang zu fahren.
Im Rahmen einer kurzen privaten Reise besuchte ich 2022 zum ersten Mal Albanien, Nord-Mazedonien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina. Ich war so fasziniert, dass ich beschloss, sobald wie möglich zurückzukehren. Seit 2023 haben wir einen zusätzlichen Wohnsitz in Korçe, und ich habe begonnen, mich fotografisch mit Albanien auseinanderzusetzen.


Karfreitag in Enna

Die drei älteren Herren haben sich gerade im Theater der albanischen Stadt Korçe getroffen. Es ist der 24. Oktober, der Tag der Befreiung der Stadt im Jahr 1944. Sie sind Kriegsveteranen und kämpften als Partisanen gegen die faschistischen Besatzer aus Deutschland und Italien. Olsi Harko, in der Mitte, ist 95 und hielt soeben die Festrede, er war Professor für Philosphie und Marxismus an der Universität von Tirana.
Kurz danach erzählt mir mein Friseur Algent Bregu beim Haare schneiden: Ja, das mit den Partisanen wäre so eine Sache. Da wären einige unter seinen Kunden, die alle behaupten würden, damals als Partisanen mitgekämpft zu haben. Doch wenn er das mit dem Alter dann mal nachrechne, würde es ihm bei so einigen doch sehr eigenartig erscheinen.


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Drei ältere Herrn in Korce

Kriegsveteranen am Tag der Befreiung in der Stadt in Korçe

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Nirgendwo ist das Aufeinderprallen von Arm und Reich so zu spüren wie in Tirana. Die Stadt pulsiert in einem atemberaubenden Rhythmus. Woher all das Geld für die monatlich neu wachsenden Skysrcaper wirklich stammt, will keiner so genau wissen. Ob Harley-Davidson oder Range-Rover – eine solche Dichte an Luxus-Autos habe ich in noch keiner anderen Stadt gesehen.


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Straßenszene in Tirana

Stadtviertel Blloku in Tirana

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Der bildende Künstler Edi Rama weiß, sich als Ministerpräsident Albaniens auch auf der internatioalen Bühne zu präsentieren. Sein neunjähriger Sohn Zaho darf dabei die PR-Videos für den Papa drehen.


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Ministerpräsident Edi Rama mit seinem Sohn

Ministerpräsident Edi Rama mit seinem neunjährigen Sohn Zaho

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In den Vierteln mit den alten Wohnblocks der kommunistischen Zeit scheint dagegen die Zeit wie stehengeblieben. Und doch erscheint das Leben auf der Straße bunter und lebendiger als in den Straßen mit den edlen, herausgeputzten Appartment-Häusern.


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Kartenspiel auf der Straße in Tirana

Wohngegend am Rande Tiranas

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Besonders jetzt, nach dem furchtbaren Ausbruch von Hass und Gewalt im Nahen Osten, fällt einem die religiöse Toleranz, die friedliche Koexistenz in Albanien auf. Es ist nicht nur eine Folge der kommunistischen Diktatur, in der jede Religion verboten war. Es ist eine Toleranz, die bereits über viele Jahrhunderte zu beobachten war.
Es will mir nicht aus dem Kopf, dass Albanien, das darauf wartet, von der EU aufgenommen zu werden, zu einem gesellschaftlichen Vorbild religiöser Toleranz für die ganze Welt werden könnte.


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Christliche Kirche direkt neben Moschee

Friedliches Nebeneinander

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Auch auf vielen albanischen Friedhöfen existiert ein religionsübergreifendes »Nebeneinander«. Sogar dann, wenn der Friedhof, wie hier in der Gegend von Kuçova, sich um eines der vielen Öl-Bohrlöcher gruppieren muss. Die Luft stinkt nach Öl, alte Tanks und Anlagen bröckeln und verrotten, es gibt riesige Umweltprobleme mit den nicht mehr instand gesetzten Anlagen. Gleichzeitig verkündet der Premierminister, dass man ein neues, riesiges Ölfeld entdeckt habe, und Albanien somit die größten Öl-Reserven Europas besitze.


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Christliche Kirche direkt neben Moschee

Religionsübergreifendes »Nebeneinander« auf vielen albanischen Friedhöfen

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Nach Vidohovë führt keine Straße. Es liegt im ehemaligen Sperrgebiet, direkt an der griechischen Grenze. Dem gängigen Muster diktatorischer Regimes folgend, hielt Enver Hoxha seine Landsleute in Angst und Schrecken, die Nachbarn würden jeden Moment ihr Land überfallen.
Viele dieser Dörfer sind verlassen, oft bleiben nur einige Alte zurück. Die Jungen sind ins Ausland gegangen oder wenigstens in die nächst größere Stadt. Und nach dem Fall der kommunistischen Diktatur war die Wut oftmals so unbändig, dass man alles, was mit der alten Zeit in Verbindung gebracht wurde, zerstörte. Man erzählt mir von einem Dorf, in dem die Menschen voller Wut selbst die landwirtschaftlich genutzten Bäume und Ställe zerstörten, weil sie zur ehemaligen staatlichen Produktionsgenossenschaft gehörten.


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Zerstörter Traktor

Nach Vidohovë führt keine Straße.

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Ebenso religionsübergreifend ist die Begeisterung für Fußball. Das Erste-Liga-Spiel Skënberbeu Korçe gegen Partizani Tirana ist so etwas wie Bayern München gegen Borussia Dortmund. Wobei Partizani Tirana die Verhassten sind, denn dies war in früheren Zeiten der Club der Nomenklatura der kommunistischen Partei, die mit Geld alle Spieler in Albanien aufkauften. In der Zwischenzeit wuchs Korçe zum führenden Club heran, spielte in der UEFA Europa League. Dann gab es ein »kleines Problem«, wie mir einer der Manager bei einem Recherche- Gespräch berichtete. Das »kleine Problem« bestand allerdings darin, dass die UEFA Skënderbeus für 10 Jahre von allen europäischen Wettbewerben ausgeschlossen und eine Buße von einer Million Euro verhängt hat. Mit der Begründung, dass niemand je zuvor in solchem Ausmaß betrogen hätte.


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Fussball Fans mit Feuerwerkskörpern

»Kleines Problem« bei Skënberbeu Korçe

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Der Zusammenhalt als Land, als albanischer Staat sei wichtiger und verbindender als die unterschiedlichen Relgionen. Das sei der Unterschied, höre ich immer wieder. Zum Beispiel zu einem Land wie Bosnien-Herzegowina, nur wenige hundert Kilometer nördlich, wo sich Nachbarn unterschiedlicher Religionszugehörigkeit in den 90er Jahren barbarisch abgeschlachtet haben.


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Partisanen Denkmal

Albanisches Nationalgefühl als verbindendes Element

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Albania 2023 - 2024

I had not visited the so-called Western Balkan countries during my European project FAR FROM BRUSSELS, as they were not on the route of my conceptual idea at the time of travelling along the external borders of the European Union.
As part of a short private trip, I visited Albania, North Macedonia, Montenegro and Bosnia-Herzegovina for the first time in 2022. I was so fascinated that I decided to return as soon as possible. Since 2023, we have had an additional residence in Korçe and I have started to explore Albania photographically. –

The three elderly gentlemen have just met in the theater in the Albanian city of Korçe. It is October 24, the day the city was liberated in 1944. They are war veterans and fought as partisans against the fascist occupiers from Germany and Italy. Olsi Harko, in the middle, is 95 and has just given the keynote speech. He was a professor of philosophy and Marxism at the University of Tirana.
Shortly afterwards, my hairdresser Algent Bregu tells me while cutting my hair: Yes, the partisan thing is a bit like that. There are some of his customers who all claim to have fought as partisans back then. But when he does the math with the age, it seems very strange to him for some of them.

Nowhere is the clash between rich and poor more palpable than in Tirana. The city pulsates with a breathtaking rhythm. Nobody really wants to know exactly where all the money for the new skyscrapers that grow every month comes from. Whether Harley-Davidson or Range Rover – I have never seen such a high concentration of luxury cars in any other city.

The visual artist Edi Rama knows how to present himself on the international stage as Prime Minister of Albania. His nine-year-old son Zaho is allowed to shoot PR videos for his dad.

In the neighbourhoods with the old apartment blocks from the communist era, time seems to have stood still. And yet life on the street seems more colourful and lively than in the streets with the elegant, fancy apartment blocks.

Especially now, after the terrible outbreak of hatred and violence in the Middle East, one is struck by the religious tolerance, the peaceful coexistence in Albania. It is not just a consequence of the communist dictatorship, in which all religion was forbidden. It is a tolerance that has already been observed for many centuries.
I cannot get it out of my head that Albania, which is waiting to be accepted into the EU, could become a social model of religious tolerance for the whole world.

In many Albanian cemeteries, too, there is cross-religious »coexistence«. Even when the cemetery, as here in the Kuçova area, is grouped around one of the many oil wells. The air stinks of oil, old tanks and installations are crumbling and rotting, and there are huge environmental problems with the unrepaired installations. At the same time, the prime minister announces that a new, huge oil field has been discovered and that Albania now has the largest oil reserves in Europe.

There is no road to Vidohovë. It is located in the former restricted area, directly on the Greek border.
Following the usual pattern of dictatorial regimes, Enver Hoxha kept his compatriots in fear and terror that their neighbours would invade their country at any moment.
Many of these villages have been abandoned, often leaving only a few old people behind. The young have gone abroad or at least to the next larger city. And after the fall of the communist dictatorship, the anger was often so unbridled that everything associated with the old days was destroyed. I was told of a village where people were furious and destroyed even the trees and stables used for agriculture because they belonged to the former state production co-operative.

The enthusiasm for football is just as cross-religious. The First League match between Skënberbeu Korçe and Partizani Tirana is a bit like Bayern Munich versus Borussia Dortmund. Whereby Partizani Tirana are the hated ones, because in earlier times this was the club of the Communist Party nomenklatura, who bought up all the players in Albania with money. In the meantime, Korçe grew into a leading club, playing in theUEFA Europa League. Then there was a »small problem«, as one of the managers told me during a research interview. The »small problem«, however, was that UEFA banned Skënderbeus from all European competitions for 10 years and imposed a fine of one million euros. On the grounds that nobody had ever cheated to such an extent before.

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